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Krieg der Zwerge

Notwendigkeit und Grenzen eines minderheitenorientierten Ansatzes in der linksradikalen Drogendiskussion

01.01.2000


Seit sich ein grosser Teil der Drogenszene im Schanzenviertel bewegt bzw. dort lebt, sind Ausgrenzung, Vertreibung und Rassismus nichts mehr, was leicht irgendwo da draussen, ausserhalb "unseres Viertels", verortet werden kann. Beim Verlassen der Haustür, und manchmal schon davor, sind sie die Realität, die sofort ins Gesicht springt. Da die polizeilichen Vertreibungen, die offenen Diskriminierungen und die hinter vorgehaltener Hand fast durchweg als Kampf gegen Drogen verkauft werden, wurde von der Flora und anderen Gruppen im Stadtteil der Versuch unternommen, eine neue Position zu Drogen-Konsum und - Handel zu entwickeln und zu etablieren. Galt bis dahin in vielen besetzten Häusern und Zentren die Parole "Dealer verpisst euch!", so wurde im "Zwergenflugblatt" der Flora neben der Ausgrenzung und Vertreibung der DrogenkonsumentInnen vor allem auch die rassistische Dealer-Hetze angegriffen. Das wenige, was an linksradikaler Diskussion in den zweieinhalb Jahren seit dem "Zwergenflugblatt" stattgefunden hat, hat kaum neue Argumente oder Perspektiven hervorgebracht. Wir wollen hier diese Diskussion aus unserer Sicht nachzeichnen und bewerten.

I. Zwei Politik-Ansätze

Die konkreten Auseinandersetzungen in der linksradikalen Drogendiskussion bewegten sich in den letzten drei Jahren entlang mehrerer zusammenhängender Fragen: Wie finden wir das Benutzen von Drogen? Wie stehen wir zu den Ängsten der AnwohnerInnen gegenüber der Drogenszene? Wie zu unseren eigenen? Ist die Forderung nach mehr Druckräumen im Viertel unterstützenswert? Wieviel "Ausgrenzung" oder "Vertreibung" ist legitim, wenn es um die eigenen halb- oder nicht-öffentlichen Räume geht?

Zwar gab es zu den einzelnen Fragen meistens mehr als zwei Positionen, und nicht immer bedeutete die gleiche Position bzgl. einer Frage auch das Übereinstimmen bei den anderen Fragen. Trotzdem lassen sich aus einer bestimmten Perspektive etwas vereinfachend zwei Arten von Positionsbestimmungen ausmachen, die offenbar von grundlegend verschiedenen Politik-Ansätzen ausgehen. Wohl am deutlichsten manifestierten sich diese beiden Politik-Ansätze an der "AnwohnerInnen-Frage": Wie soll damit umgegangen werden, wenn der Grossteil der AnwohnerInnen, die noch vor zehn Jahren mithalfen das "Phantom der Oper" im Viertel zu verhindern, heute vor allem versucht, ihr multikulturell-alternatives Idyll Schanzenviertel von der Drogenszene sauber zu halten - insbesondere dann, wenn dabei rassistische Ressentiments zutage treten? Stehen die nicht eigentlich auf unserer Seite und müssen nur noch davon überzeugt werden, oder ging es "denen" - wie den meisten von "uns" - schon vor zehn Jahren hauptsächlich darum, "unser" Viertel vor fremden Einflüssen zu schützen - nur dass es damals die Yuppies und Bullen waren und heute die "Junkies" und "schwarzen Dealer"?

Die grundlegende Verschiedenheit der Politik-Ansätze macht sich an den verschiedenen Vorstellungen vom Verhältnis zwischen linksradikaler Politik, dominanten Bevölkerungsmehrheiten und marginalisierten Minderheiten fest. Zentral für eine mehrheitsorientierte Position ist die Vorstellung, dass ein politischer Kampf nur gewonnen werden kann, wenn viele Menschen mobilisiert werden können und nicht nur, wie jetzt, versprengte und isolierte kleine Grüppchen daran beteiligt sind. Im Vordergrund steht damit das Ziel, für linksradikale politische Inhalte eine breitere Basis herzustellen, was im Allgemeinen durch Aufklärung, Agitation und Bündnis-Arbeit, oder allgemeiner: durch Auseinandersetzungs- und Kompromiss-Bereitschaft zu erreichen versucht wird. Im Kampf gegen Ausgrenzung von marginalisierten Minderheiten steht deshalb der Versuch im Vordergrund, Teilen der an Ausgrenzung beteiligten Mehrheit die Problematik und die Konsequenzen ihrer Denk- und Handlungsmuster bewusst zu machen. Im Schanzenviertel bekommt dabei der gute Kontakt zu den AnwohnerInnen und die Vermittelbarkeit des eigenen politischen Handelns eine essentielle Bedeutung. In Abgrenzung dazu ist für die minderheitenorientierte Position die (kritische) Solidarität mit den marginalisierten Minderheiten und das konsequente Angreifen jeder (möglicherweise sehr subtilen) Form von Ausgrenzung voranging - auch wenn dadurch Sympathien verspielt werden und mensch damit selbst ins politische Abseits gerät. So ging es in der Diskussion also vor allem auch darum, inwieweit es richtig oder sinnvoll war sich gegen die grosse Mehrheit der - zwar vielleicht ein bisschen rassistischen aber immerhin linksalternativen - AnwohnerInnen zu stellen und damit endgültig ausserhalb des Viertels zu stehen und möglicherweise gar keinen Einfluss mehr zu haben.

Offensichtlich ist, dass zwischen den beiden Politik-Ansätze kein notwendiger Widerspruch liegt, da der Unterschied ja nur darin besteht, was an erster Stelle steht: die Grösse und Kraft der Bewegung gegen Ausgrenzung oder das direkte und konsequente Angreifen jeder Form von Ausgrenzung. So können diese beiden Ansätze im Normalfall ganz gut neben- bzw. miteinander Grundlage einer linksradikalen Politik sein. Allerdings gibt es natürlich immer wieder Situationen, in denen die Prioritäten im Sinne des einen oder anderen Ansatzes gesetzt werden müssen. So z.B. um den Beschluss des Flora-Plenums, Drogen-Konsum und - Handel um die Flora herum zu tolerieren, innerhalb des Gebäudes aber nicht zu dulden.

II. Warum minderheitenorientiert?

Zunächst wollen wir versuchen zu erklären, warum wir im Kontext der Drogenverbotsproblematik im Schanzenviertel eine minderheitenorientierte Position für notwendig halten. Linksradikale Politik muss immer den gesellschaftlichen Rahmen innerhalb dessen sie agiert, berücksichtigen und sich darauf beziehen. Wir sehen gegenwärtig im Schanzenviertel eine starke Tendenz hin zu einer Mehrheitsgesellschaft: Während die Mehrheit der Viertel-BewohnerInnen immer mehr in die herrschenden Machtstrukturen integriert wird (z.B. durch Beteiligungsverfahren wie die "AG Umgestaltung Schulterblatt" der STEG ), werden bestimmte Minderheiten um so stärker sozial und politisch ausgeschlossen. Diejenigen, die auf dem Weg des Schanzenviertels zu einem angesagten, schicken und für Hamburg repräsentativen Viertel dienlich sind, werden mit ihrem Anders-Sein, ihrem Protest, ihrer Kritik einbezogen: so kann der türkische Gemüsehändler genauso wie das "pittoreske Abbruchambiente" der Flora zum alternativ-multikuturellen Flair der Location Schanzenviertel beitragen - der Schwarze auf der Strasse, der nur noch als Dealer identifiziert wird, kann das aufgrund der Dealer-Hetze schon nicht mehr und muss deshalb weg. So wird der Teil des Anders-Seins, der als immer wieder notwendige Auffrischung der Strukturen und Ausdrucksformen der Gesellschaft die Akzeptanz ihrer Herschaftsformen sichert, aufgenommen, der Rest wird davon abgetrennt und verschwindet sang- und klanglos. Diejenigen, deren Anders-Sein nicht in einer solchen Weise nützlich ist, werden ausgegrenzt, vertrieben, ihnen werden immer mehr die Existenzgrundlagen entzogen, ihre Handlungsspielräume werden immer weiter eingeschränkt.

So befinden wir uns in einer Situation wo diejenigen, die unter der herrschenden Ordnung ganz offen benachteiligt werden, keine oder kaum noch Möglichkeiten des Widerstandes haben, und diejenigen die diese Möglichkeiten haben, entweder so weit eingebunden sind, dass sie dies gar nicht (mehr) wollen oder in ihrem Kampf selbst immer wieder zum Teil dessen gemacht werden, was sie bekämpfen. Eine Politik, die sich gegen soziale Ungleichheit richtet, muss daher vor allem versuchen, dieses Zusammenspiel von Integration und Ausgrenzung zu durchbrechen. Für uns als radikale Linke ist es daher in der aktuellen Situation von essentieller Bedeutung, ob wir es schaffen, unsere Politik solchen integrierenden Mechanismen zu entziehen. Die Orientierung an der dominanten Mehrheit bzw. die Öffnung ihr gegenüber zum zentralen Ansatzpunkt linksradikaler Politik zu machen, geht deshalb in die falsche Richtung.

So wirkt z.B. die angeblich offene und gleichberechtigte Diskussion zwischen VertreterInnen von Minderheiten-Positionen und denen von Mehrheits-Positionen in seiner Funktion im Allgemeinen in einer solchen integrierenden Weise: Aufgrund des Machtgefälles zwischen den beiden Positionen werden die VertreterInnen der Minderheiten-Position dazu genötigt, von vorneherein und immer wieder Zugeständnisse an die VertreterInnen der Mehrheits-Position zu machen: z.B. das Akzeptieren von rassistischen Ressentiments wenn in der Diskussion um ein Zentrum für afrikanische Jugendliche im Schanzenviertel Afrikaner und ihre UnterstützerInnen von AnwohnerInnen dazu genötigt werden, zu erklären wie sie Drogenhandel sowie lautes Trommeln und Partys bis zum Morgen (was Afrikaner halt so machen) im Zentrum verhindern wollen. Da wir davon überzeugt sind, dass in der öffentlichen Diskussion nicht die besseren Argumente entscheiden, sondern eher das ungleiche Machtverhältnis der Positionen, muss es unserer Ansicht nach zunächst darum gehen, die Position der Ausgrenzung direkt anzugreifen und zu schwächen, bevor wir unser Hauptarbeitsfeld in der Aufklärung und Diskussion sehen können. Dieses Schwächen der Position der Ausgrenzung muss dabei sowohl auf der praktischen als auch auf der ideologischen Ebene stattfinden: Zum einen muss es darum gehen, bei polizeilichen Vertreibungsmassnahmen, rassistischen Polizei-Kontrollen oder offenen Diskriminierungen durch AnwohnerInnen immer wieder direkt einzugreifen. Gleichzeitig muss gesehen werden, dass die Politik der Ausgrenzung gerade deshalb so reibungslos durchgesetzt werden kann, weil auf der anderen Seite von Ausgrenzung und Vertreibung Akzeptanz-Management und Ideologie-Produktion stehen. So muss der Widerstand gegen diese Politik auch z.B. da ansetzen, wie über Drogen-Konsum und Drogen- Handel, über Obdachlose oder über Menschen schwarzer Hautfarbe in der Öffentlichkeit geredet wird, und es muss versucht werden, einen eigenen Einsatz in diese Diskurse einzuschleusen. Wenn wir nun die konkreten Auseinandersetzungen in der linksradikalen Drogen-Diskussion betrachten, wird klar, dass diese allgemeinen Überlegungen etwas zu einfach gestrickt sind und an der Praxis weiterentwickelt werden müssen.

III. Konkretisierungen

Anhand von zwei Diskussionen innerhalb der linksradikalen Szene, die mit der Drogenszene in Zusammenhang stehen, wollen wir einige Konkretisierungen des minderheitenorientierten Ansatzes vornehmen, die unserer Ansicht nach notwendig sind, um eine sinnvolle politische Praxis entwickeln zu können.

Der Umgang mit Ängsten / kritische Solidarität

Das aus linksradikaler Sicht wohl stärkste Argument von vielen AnwohnerInnen gegen die Drogenszene war der Bezug auf ihre Ängste: vor Spritzen, Depots, Waffen usw. Aus der mehrheitsorientierten Position wurde gefordert, diese Ängste erstmal ernst zu nehmen, um nicht von vorne herein die Gesprächsebene, ohne die nichts bewirkt werden könne, zu zerstören. Einige der Ängste seien ja aus eigener Erfahrung auch berechtigt, ansonsten gäbe es auf der Gesprächsebene die Möglichkeit, diese Ängste mit guten Argumenten nehmen zu können. Dagegen wurde aus der minderheitenorinetierten Position argumentiert, dass das öffentliche Reden von den eigenen Ängsten im Kontext einer Medienkampagne über die "Verslummung" des Schanzenviertels und einem verstärkten Bezug polizeilicher Vertreibungsmassnahmen auf ein "subjektives Sicherheitsbedürfnis" vor allem dazu diene, Ausgrenzug, Vertreibung und Rassismus zu legitimieren. Ein erstmal Ernstnehmen dieser Ängste hiesse in diesem Kontext, den realen Ausdruck dieser Ängste - die Platzverweise für DrogenkonsumentInnen, die Kontrollen von Menschen aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe, die rassistischen Äusserungen im Hausflur - als diskutabel anzuerkennen und ihm damit mehr Legitimation zu verschaffen. Wenn die Ängste der meist gutsituierten ViertelbewohnerInnen nicht über die existentielle Bedrohung für Obdachlose, Drogen-UserInnen und Schwarze gestellt werden sollen, müsse öffentliches Reden über diese Ängste politisch angegriffen werden, und das gilt natürlich auch für die eigenen Ängste.

Auch wenn wir diese minderheitenorientierte Argumentation schlüssig und ihre Implikationen prinzipiell richtig finden, bleibt dabei offen wie denn mit diesen Ängsten umgegangen werden soll. Zunächst kann es unserer Ansicht nach nicht darum gehen, von richtigen oder berechtigten Ängsten versus falschen oder irrationalen Ängsten zu reden. Ängste sind Gefühle und lassen sich nicht in solcher Weise bewerten. Das heisst aber nicht, dass deshalb alle Ängste politisch ernst genommen werden müssen. Erstmal ist zu beobachten, dass vieles von dem, was unter Ängste gefasst wird, eher der eigene Nerv mit Einzelnen ist, den wir alle kennen. Dabei ist klar, dass ein Genervt-Sein politisch sicherlich einen anderen Stellenwert hat, als ein direktes Angstgefühl, und deshalb auch so benannt werden sollte. Ausgrenzung Einzelner lässt sich aufgrund von Genervt-Sein kaum rechtfertigen, aufgrund eines direkten Angstgefühls möglicherweise schon. Wenn es nun tatsächlich um Angst geht, muss unterschieden werden: Sicherlich gibt es Ängste, die sich auf Menschen beziehen, die der Drogenszene zugerechnet werden, und die aufgrund ihrer Begründung ernstzunehmen sind: z.B. die Angst vor einer Person, von der schonmal jemand mit einem Messer bedroht wurde. Was aber im Normalfall geschieht, ist dass Ängste, die in persönlichen Erfahrungen oder Erzählungen wahrer oder unwahrer Geschichten begründet liegen, von den konkreten Personen, auf die sich diese Begründungen beziehen, übertragen werden auf die vermeintlich homogene Gruppe, die um sie herum konstruiert wird: "die Junkies", "die schwarzen Dealer" usw.

Solche Übertragungen finden nicht nur bei vielen AnwohnerInnen statt: Etwas verdeckter lässt sich eine ähnliche Übertragung in einem Text der "einige Flora-UserInnen" finden. Offensichtlich aus Angst durch die Solidarität mit einer Gruppe, auf die momentan der gemeinsame Hass des Viertels projiziert wird, selbst noch mehr ins Abseits zu geraten, wird in diesem Text eine grundsätzliche Abgrenzung zwischen linker Szene und Drogenszene vorgenommen - da "sie ganz grundsätzlich andere Dinge wollen". Weil sich einzelne Drogen-KonsumentInnen auch mal gewalttätig oder sexistisch verhalten, sollte den UserInnen im Allgemeinen die Solidarität verweigert werden. Damit wird Solidarität zu etwas, was nur denjenigen gebührt, die einer Gruppe zugerechnet werden, deren vermeintliche Mitglieder allesamt in jeder Hinsicht politisch korrekt sind. Verallgemeinernde Übertragungen werden dabei genauso verwendet wie wenn umgekehrt Solidarität als etwas verstanden wird, das allen Menschen, die einer bestimmten marginalisierten Gruppe zugerechnet werden, immer und in jeder Situation gebührt - wie das manchmal bei Soli-Gruppen für nationale Befreiungsbewegungen vorkommt.

Stattdessen müsste eine kritische, kontextbezogene Solidarität angestrebt werden, die sich auf die unterlegene Position bezieht, die Angehörigen einer bestimmten Gruppe in einem bestimmten Herrschaftsverhältnis zukommt, und nicht auf die Menschen dieser Gruppe an sich. Eine solche kritische Solidarität wäre immer abhängig davon, welches Herrschaftsverhältnis in einem bestimmten Kontext im Vordergrund steht. Damit ist auch klar, dass mit kritischer, kontextbezogener Solidarität auf keinen Fall gemeint sein kann, einen Drogen-Konsumenten, der in einem Hauseingang einer Frau einen sexistischen Spruch an den Kopf wirft, zu verteidigen, wohingegen es angebracht wäre, den gleichen Menschen zu unterstützen, wenn ihn am nächsten Tag eine Streife mitnehmen will.

Allerdings wird an diesem Beispiel auch schon klar, dass eine solche kritische, kontextbezogene Solidarität, oft eine Form von Umschalten bedeutet, die nicht immer so einfach zu bewerkstelligen ist. Insofern ist klar, dass ein Gerechtwerden der Einzelnen und der konkreten Situation gegenüber selten 100%-ig möglich ist, aber trotzdem angestrebt werden kann. Eine solche Haltung kann mensch auch nicht von heute auf Morgen einnehmen, es geht vielmehr um die stetige selbstkritische Hinterfragung der eigenen Wahrnehmungen.

Trotzdem bleibt offen, wie ein öffentliches Reden über diese Ängste möglich ist. Ist es möglich, durch konkrete Erfahrungen begründete Ängste vor bestimmten Personen öffentlich zu benennen ohne damit die Tür für verallgemeinernde Übertragungen durch andere zu öffnen? Und wie ist es mit den anderen, auf solchen Übertragungen basierenden Ängsten? Auch wenn ein öffentliches Reden darüber aus oben genannten Gründen äusserst problematisch ist, müsste das langfristige Ziel doch sein, eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Ängsten, von denen wir selbst ja auch nicht frei sind, zu initiieren. Aber wie ist das möglich, ohne dabei gleich wieder für Ausgrenzung, Vertreibung und Rassismus funktionalisiert zu werden? Wir denken, dass diese Fragen nicht offen bleiben können, wenn ein minderheitenorientierter Ansatz in der politischen Praxis umgesetzt werden soll.

Druckraumforderung / StellvertreterInnen-Politik

Eine andere lang diskutierte Frage war, ob die Forderung nach mehr Druckräumen im Viertel aus einer linksradikalen Position heraus unterstützt werden sollte. Die verschiedenen Positionen zu dieser Frage lassen sich nicht so leicht mit der Gegenüberstellung von mehrheits- und minderheitsorientierten Ansätzen beschreiben wie in der Frage um den Umgang mit den Ängsten. Zwar orientierten sich die Hauptargumente, die gegen die Forderung nach mehr Druckräumen ins Feld geführt wurden, an einer gegen Ausgrenzung einer Minderheit gerichteten Haltung: Druckräume sind Elendsverwaltung und bedeuten Überwachung von als krank definierten Menschen; Druckräume dienen dazu, die Drogenszene von der Strasse und damit aus dem Blickfeld zu rücken. Die Argumente, die für die Forderung nach mehr Druckräumen vorgebracht wurden, orientierten sich dagegen sowohl an den DrogenkonsumentInnen als auch an den AnwohnerInnen: Druckräume bedeuten erstmal eine konkrete Lebensverbesserung für KonsumentInnen; gleichzeitig ist eine solche Forderung direkt fassbar und realistisch und lässt sich deshalb im Viertel gut vermitteln (und nicht deshalb, weil damit das "Problem" aus dem Blickfeld gerückt wird). Hier stellt sich die Frage, ob unter minderheitenorientierter Politik StellvertreterInnen-Politik für marginalisierte Minderheiten zu verstehen ist. Innerhalb einer solchen müsste wohl die Argumentation verortet werden, mit Druckräumen eine konkrete Lebensverbesserung für Marginalisierte zu bewirken. Die Argumentation der GegnerInnen der Druckraumforderung lässt sich dagegen eher in eine Politik gegen Ausgrenzungsmechanismen einordnen. Gerade im Falle "der Drogenszene" wird ziemlich schnell deutlich, mit welchen Problemen eine StellvertreterInnen-Politik behaftete ist: Erstens ist es für uns als Menschen, die keine oder kaum illegalisierte Drogen konsumieren, nicht obdachlos sind usw. nur schwer erkennbar, welche Bedürfnisse für KosumentInnen im Vordergrund stehen - vor allem: für wen im Vordergrund stehen: die Mehrheit der KonsumentInnen? Was ist dann mit dem Rest? Zweitens funktionieren gesellschaftliche Ideologien bei Marginalisierten oft nicht weniger gut als im Rest der Gesellschaft, so dass viele der KonsumentInnen bestimmte - vielleicht subtiler arbeitende - Ausgrenzungsmechanismen akzeptieren (z.B. wenn sie sich selbst als "krank" verstehen). Eine minderheitenorientierte Politik muss sich deshalb unserer Ansicht nach in erster Linie gegen das richten, was wir als Ausgrenzungspraktiken und - diskurse wahrnehmen können, und kann sich nur in zweiter Linie an dem orientieren, was wir von den Bedürfnissen der Marginalisierten mitbekommen. Es kann nicht darum gehen, die Interessen von Marginalisierten vertreten zu wollen, sondern darum, diejenigen Praktiken und Diskurse anzugreifen, die es Marginalisierten mehr und mehr unmöglich machen, ihre Interessen selbst zu vertreten.

IV. Grenzen

Abgesehen von diesen notwendigen Konkretisierungen eines minderheitenorientierten Ansatzes sehen wir auch Grenzen für einen solchen Ansatz in der Praxis: Unter Umständen kann ein straightes Festhalten an einer klar minderheitenorientierten Position dazu führen, sich selbst handlungsunfähig zu machen und damit jede Form der Einflussmöglichkeit zu verlieren. Dieser Punkt ist z.B. für die Flora durch ihre solidarische Haltung zur Drogenszene im Moment sicherlich nicht erreicht, aber vielleicht wäre er erreicht worden, wenn die Flora Drogenkonsum und - handel im Gebäude dulden würde. Wann dieser Punkt erreicht ist, kann nur am einzelnen Fall konkret diskutiert werden, und unterliegt natürlich immer einem Konglomerat subjektiver Einschätzungen. Eine einfache Regel dafür lässt sich wohl kaum aufstellen.

Abgesehen davon liegt eine nicht unerhebliche Gefahr für einen minderheitenorientierten Ansatz darin, zur reinen BürgerInnen- und AnwohnerInnen-Feindlichkeit zu werden. Sicherlich bedeutet eine minderheitenorientierte Position in der Praxis oft auch einen Angriff auf Denk- und HandlungsMuster der grossen Mehrheit, die sich ihre Zufriedenheit mit den Zuständen über die Ausgrenzung von bestimmten Minderheiten holt. Trotzdem bedeutet eine minderheitenorientierte Politik für uns keine identitäre Abgrenzung von "den BürgerInnen". Erstens sind wir "denen" dazu viel zu ähnlich, gehören selbst viel zu sehr dazu; und zweitens sind wir, wenn wir als UnterstützerIn von Ausgegrenzten in einer Minderheiten-Position stehen, noch lange nicht selbst ausgegrenzt. Eine Identität als "die Guten" in Abgrenzung zu "den BürgerInnen" ist deshalb mehr als fragwürdig - besonders dann, wenn dabei der eigene Bezug auf Ausgegrenzte dazu benutzt wird, sich selbst unangreifbar zu machen. Stattdessen muss es um eine politische Abgrenzung gehen, die erstmal nur bedeutet, die dominante Mehrheit nicht politisch unterstützen zu wollen, wie auch immer die Menschen, die dazu gehören, genau "aussehen". Trotz der vielen schönen Worte stellt sich die momentane Situation, in der der Widerstand gegen Ausgrenzung und polizeiliche Vertreibung im Viertel kriminalisiert wird, für uns als Bewährungsprobe für eine minderheitenorientierte Politik dar. Denn es ist klar, dass der Repression nur wirkungsvoll etwas entgegengesetzt werden kann, wenn sich viele Menschen an dem Kampf dagegen und an der Solidarität mit den von Repression Betroffenen beteiligen

gruppe neben der spur

Anmerkungen:

Das Ergebnis dieser Diskussion ist im Zwergenflugblatt der Flora nachzulesen. Etwas ausführlicher ist dazu das Flora-Flugblatt "Runde Tische für ein rundes Schanzenviertel" Unsere Kritik bezieht sich auf die Texte der "einige Flora-UserInnen", die im Rahmen der "Flora-Seiteneingangs-Debatte" in der ZECK veröffentlicht wurden.

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