Gegen Olympia und deutsche Zustände auf die Strasse: Das antiolympische Schanzenfest in Hamburg
Am 6. September 2015 wird das unangemeldete Strassenfest im Schanzenviertel gegen die Hamburger Olympiabewerbung stattfinden. Unter dem Motto "Das Anti-Olympische Dorf stellt sich vor" werden im Rahmen des Festes antiolympische Spiele und Wettbewerbe ausgetragen. Bereits am darauffolgenden Wochenende wird am 12.09. international zu Protesten gegen einen Naziaufmarsch in Hamburg mobilisiert. Beide Mobilisierungen finden vor dem Hintergrund einer zunehmend rassistischen Politik und Stimmungsmache gegen Geflüchtete statt, und beide haben das Potential, überregional Schlagzeilen zu machen und den Senat politisch in Bedrängnis bringen.
Dass das Schanzenfest das Thema Olympia aufgreift, ist naheliegend. Die Rahmenbedingungen für linke Projekte, wie z.B. das aktuell umkämpfte KoZe im Münzviertel, aber auch für andere Stadtteilinitiativen und das Schanzenfest selbst werden sich bereits im Rahmen der Olympia-Bewerbung deutlich verschlechtern. Schon in der Planung sollen vielfältige Umstrukturierungsprozesse angeschoben, städtische Gelder umverteilt und Sicherheitsarchitekturen und Überwachungsmassnahmen ausgebaut werden. Gewinner dieser Entwicklung sind wenige, Verlierer viele. Insbesondere alle, die ohnehin bereits von Armut, Ausgrenzung oder Repression betroffen sind.
Wie der Senat sich aufstellt zeigt sich Beispielhaft im politischen Prozess gegen die Beschuldigten der Hausbesetzung in der Breiten Strasse. Mit einem aufgeblasenen Verfahren sollen Hausbesetzer*innen eingeschüchtert und von weiteren Besetzungen abgehalten werden. Leerstand wird nach wie vor verteidigt und vor allem teurer Wohnraum geschaffen, vorhandene Gelder in weitere Grossprojekte geblasen. Es bräuchte keine Massenunterkünfte für Geflüchtete und auch keine rassistische Berichterstattung über die begrenzten Kapazitäten von solchen, wenn generell ausreichend günstiger Wohnraum für alle Menschen vorhanden wäre. Offensichtlich gibt es aber genau hier ein politisches Interesse diese Zustände aufrechtzuerhalten um den Markt am laufen zu halten und damit die Stadt zur Beute zu machen. Eine Olympiabewerbung wird nichts besser machen.
Auf dem Schanzenfest soll sich nach den Vorstellungen der Teilnehmer*innen das gesamte nolympische Spektrum auf der Strasse präsentieren, Inhalte und Perspektiven gegen olympische Spiele diskutieren und auch direkte Proteste und Aktionen vorstellen. In einem Aufruf wurden Aktivist*innen aufgefordert, sich mit eigenen Ideen am Schanzenfest zu beteiligen und auch Disziplinen wie "Mehlbombenweitwurf" oder "Fahrradhindernisrennen" durch die Stadt auszutragen.
Von Feuer und Flamme
Knapp zwei Monate darauf wird ein Referendum des Senates stattfinden, in dem über die weitere Bewerbung abgestimmt werden soll. Der Ausgang ist alles andere als klar. Immer mehr Gruppen und politische Spektren mobilisieren inzwischen gegen die Hamburger Olympiabewerbung. Anti-Olympia-Aktivist*innen verüben Aktionen, u.a. gegen die mögliche Infrastruktur während der Spiele und brannten schon mal einen Handymast nieder, die Nolympia-Kampagne organisiert Veranstaltungen und Demonstrationen, Sprecher*innen der Gewerkschaften beklagen negative Folgen für die Hafenwirtschaft und die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen, wohnungspolitische Gruppen die negativen Folgen für Mieter*innen, Sportvereine und Fussball-Fans die Eventisierung und Vermarktung von Sportveranstaltungen zum Nachteil des Breitensports in Vereinen oder an Schulen.
Zuletzt warnte gar der städtische Rechnungshof vor den Folgen der Olympiabewerbung und eines Referendums in Hamburg zu einem Zeitpunkt, an dem die Kosten noch nicht mal ansatzweise festgestellt werden können.
Demgegenüber steht eine weitgehend auf Olympia gleichgeschaltete Lobby der Senatsparteien, Handelskammer und Medienpartnerschaften. Kulturschaffende und Sportvereine sollen mittels Kultur- und Sportförderungen ins Boot geholt werden. Auch soziale Träger werden in die Pflicht genommen. Ganz offen wird klargestellt, dass entsprechende freigemachte Mittel lediglich Olympiabefürworter*innen zugute kommen, während an anderer Stelle zunehmend gespart wird.
In einer Stadt, in der Schwarz-Schill ebenso wie Scholz" Hetzjagd auf Lampedusa-Flüchtlinge mehrheitsfähig waren, könnte sich auch Olympia in einem Referendum als mehrheitsfähig erweisen. Für die Proteste würde ein solches Ergebnis keinen Abbruch bedeuten.
Anti-Olympia-Aktivist*innen haben bereits angekündigt, ein mögliches olympisches Gefahrengebiet in Hamburg 2024 zum Austragungsort von Dauerprotesten umzufunktionieren. In der an Protesten und Strassenkämpfen nicht gerade armen Stadt war sich die Prolympia-Fraktion nicht zu blöde, auf das Motto "Feuer und Flamme für Spiele in Hamburg" zurückzugreifen. Ein Slogan, dessen Doppeldeutigkeit im Fall einer Bewerbung dem Senat noch auf die Füsse fallen könnte, wenn sich entsprechende Bilder beim IOC einbrennen.
Wirkliche Olympiastimmung kommt trotz umfangreicher PR-Arbeit des Senates und Werbekampagnen der Landesbanken und der Handelskammer kaum auf. Heraus sticht bisher das Miniaturwunderland in der Speicherstadt. Tatsächlich dürfte der auf Massentourismus und Besucherströme ausgelegte Betrieb einer der wenigen sein, die an Olympia in Hamburg tatsächlich verdienen. Entsprechend wird das ureigene privatwirtschaftliche Interesse zum Vorteil für alle erklärt.
Solidarität mit Geflüchteten
Das Schanzenfest fällt in eine durchaus angespannte Situation in der Stadt. Nach dem unangemeldeten "Refugees Welcome"-Schanzenfest vom letzten Jahr gibt es nach wie vor keine Anerkennung, Hilfe oder politische Lösung für die Gruppe Lampedusa in Hamburg und viele andere Geflüchtete in der Stadt. Anstatt menschenwürdigen dezentralen Wohnraum bereitzustellen, werden Massenunterkünfte, Containerdörfer und Zeltstädte eingerichtet.
In Griechenland und Italien stranden täglich Flüchtlinge und Tausende ertrinken im Mittelmeer. Die EU unter deutscher Führung verweigert dennoch bis heute gemeinsame Hilfen in den Mittelmeerländern und eine sichere Einreise nach Europa. In einer rassistischen "Das Boot ist voll"-Rhetorik werden stattdessen mehr Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt, noch schnellere Abschiebungen gefordert, der Ausbau von Grenzkontrollen angekündigt und damit auch rassistische Stimmungen im eigenen Land befeuert.
Statt die eigene politische Verantwortung für Wohnungsnot in den Kommunen und mangelnde soziale Vorsorge anzuerkennen, wird auf die Unzumutbarkeit verwiesen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Der rotgrüne Senat in Hamburg und die Bundespolitik liefern hier eine deutliche Botschaft, die auch durchaus verstanden wird. Rassist*innen und Nazis greifen solche ökonomischen Totschlagargumente als Pegida, AFD oder NPD gerne auf.
Durch rassistische Diskurse über Flüchtlinge als bedrohliche Masse und Verlautbarungen, dass Geflüchtete aus Lampedusa hier keine Perspektive hätten, öffnet die etablierte Politik rassistische Büchsen der Pandora und macht sich zum Wegbereiter faschistischer Aufmärsche und Anschläge. Der argumentative Schulterschluss zwischen dem Hamburger Senat und Pegida findet seine jüngste Entsprechung in einer bundesweiten Nazidemo am 12. September.
Nazis und rassistische Standortpolitik angreifen
Zum "Tag der Patrioten" mobilisieren vor allem organisierte Faschist*innen und Nazi-Hooligans, die rassistische Stimmungen und die aktuelle Hetze als Mittel der Politik - bis hin zu Mord- und Brandanschlägen gegen Geflüchtete - befördern wollen. Die menschenverachtende Demonstration wird jedoch nicht ohne Widerstand stattfinden. Proteste und Gegendemonstrationen mit mehreren tausend Menschen sind bereits von einem breiten Spektrum angekündigt.
Hamburg besitzt insbesondere unter SPD-Regierung jedoch die unrühmliche Tradition, Aufmärsche von Neonazis notfalls mittels Wasserwerfern und Polizeiknüppeln durchzusetzen. Sofern es eigene parteipolitische Proteste gegen Rechtsextremismus gab, dann weitab von der Route, um die Bürger*innen ruhig und fern zu stellen und der Polizei die Arbeit zu erleichtern, alten und neuen Nazis den Weg freizumachen. Die Frage der inneren Sicherheit wird von der SPD in Hamburg als strategisch wichtig für den Machterhalt eingeschätzt. Deshalb wird in der Stadt ein Kampf gegen Geflüchtete durch Kontrollen und Abschiebungen durchgeführt, deshalb werden antifaschistische Proteste gewaltsam behindert.
Hamburg gibt sich als Hafenstadt ein alternatives und weltoffenes Image im kapitalistischen Wettbewerb der Metropolregionen. Auch in die Olympiabewerbung fliesst dieses Kapital mit ein. Gerne wird dabei lokalpatriotisch ein Gegensatz zu München bemüht. Doch während sich in anderen Städten wie z.B. in München auch schon mal Bürgermeister*innen an gemeinsamen antifaschistischen Protesten und Blockaden beteiligen, wird in Hamburg inzwischen selbst auf halbherzigste Proteste fernab verzichtet.
So soll der Naziaufmarsch möglichst abgelegen stattfinden, um die Anreise von Gegendemonstrant*innen zu behindern und Proteste und Blockaden vor Ort zu verhindern, während Teilnehmer*innen des faschistischen Aufmarsches von der Polizei durch die Stadt eskortiert werden.
Gefahrengebietsimpressionen
Alles soll möglichst reibungs- und geräuschlos funktionieren. Auch, um keine Negativ-Schlagzeilen für die internationale Presse im Vorfeld der Hamburger Olympiabewerbung zu produzieren. Immerhin sollen viele Millionen Euro allein schon in die Bewerbung fliessen. Für den Senat ist das Image der Stadt derzeit daher ein hochsensibles Thema.
Unangenehm in Erinnerung ist z.B. noch die Reisewarnung in den USA vor Besuchen in Hamburg nach der Demonstration am 21.12.2013 und der Ausrufung eines riesigen polizeilichen Gefahrengebiets. In der Folge fanden tägliche Demonstrationen und eine internationale Berichterstattung statt, in der über Hamburg neben den Krisenherden in aller Welt berichtet wurde.
Die Wirkung ähnlicher Berichte auf die gemächliche und greise Welt des IOC lässt sich leicht ausmalen. Nicht anders als die FIFA gilt das IOC als hochkorrupter Verein, der in erster Linie an einem ruhigen Umfeld zur Imagepflege und möglichst wenig Negativ-Schlagzeilen interessiert ist. Dies könnte jedoch schiefgehen. Zum Schanzenfest und zur Demonstration am 12. September wird nicht nur ein breites Protestspektrum aus Hamburg erwartet, sondern vor allem zu letzterer eine starke bundesweite und internationale Beteiligung von antifaschistischen Gruppen. Die Dimension der Gegenproteste könnte dabei auch für die Politik des Senates zum Problem werden.
Proteste verschränken
In der aktuellen Diskussion um Flüchtlinge, den rassistischen Aufmarsch am 12. September und der Auseinandersetzung um die Olympiabewerbung gibt es eine gemeinsame politische Schnittmenge in der Frage um Stadt und Gesellschaft, städtische Räume und deren Ausgestaltung.
Proteste gegen Pegida und Nazis greifen zu kurz, wenn sie nicht die rassistische Dimension der aktuellen Flüchtlingspolitik als zentralen Inhalt aufgreifen und deren ökonomische Argumentation angreifen. Angesichts eines Wohnungsbauprogramms, das nur Gutverdienenden zugute kommt, Leerstand allein von Bürogebäuden von über einer Million Quadratmetern und der Repression gegen widerständige Aktionen wie die Hausbesetzung in der Breiten Strasse vermittelt sich die Forderung nach Wohnraum und solidarischer Hilfe für Geflüchtete statt Milliardenausgaben für Olympia in Hamburg von selbst. Die Kritik an Olympia entwaffnet sich wiederum, wenn sie sich ausschliesslich in Kosten/Nutzen-Rechnungen verliert, ohne sicherheitspolitische Verschärfungen und Auswirkungen auf Protestorte und andere Kämpfe in der Stadt aufzugreifen.
Die grundlegende Versorgung von allen Menschen mit Lebensmitteln und Wohnraum ist keine Kostenfrage, sondern eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung. Europa und seine Metropolen hätten ausreichend Kapazitäten, um Geflüchtete willkommen zu heissen. Elende Zustände für Flüchtlinge werden stattdessen bewusst herbeigeführt, um andere Geflüchtete abzuschrecken, um unten zu sparen und oben Elbphilharmonien und Olympiatürme zu bauen. Tote am Mittelmeer durch eine Abschottung der Grenzen Europas werden dabei ebenso in Kauf genommen wie Armut durch Freihandelszonen und Austeritätsprogramme in weiten Teilen der Welt.
Die Biedermänner bleiben die Brandstifter, auch und gerade im rotgrünen Anstrich. Der Senat legt Feuer und Flamme, nicht für Olympia, sondern gegen die Idee einer solidarischen Stadt. Einer Stadt, in der Wohnraum für alle, unabhängig von Herkunft oder Besitzstand, selbstverständlich ist und in der ein gemeinsamer Widerstand gegen jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus und Faschismus auf der Strasse dazugehört.
Es wird an uns allen gemeinsam liegen, ob es gelingt, der zynischen Rechenpolitik des Senates einen kraftvollen Widerstand auf der Strasse entgegenzusetzen und eine ganz andere Rechnung aufzumachen.
06.09. Anti-Olympisches Schanzenfest, Solidarität mit Geflüchteten statt Millionengräber für Olympia!
12.09. Demos, Blockaden und Aktionen gegen den Tag der Patrioten und die rassistische Senatspolitik