Ausgrenzung als joint venture
Das Zusammenspiel von Drogenpolitik, Sicherheitswahn und Rassismus im Schanzenviertel
Am 27.2. fand im Schanzenviertel ein Aktionstag gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung statt. Die Aktivitäten wandten sich gegen die Polizeipräsenz im Viertel, gegen die rassistische Zuschreibung, alle Schwarze seien Dealer und die damit einhergehende Kontroll- und Verfolgungspraxis und gegen die Vertreibung marginalisierter Gruppen, insbesondere der Drogenszene mittels Platzverweisen und Gebietsverboten. Dem alltäglichen Kontroll- und Sicherheitswahn auch aus Teilen der lokalen Bevölkerung sollte öffentlich widersprochen werden. Den anstehenden Prozess wegen Nötigung, Widerstand und Landfriedensbruch gegen drei mutmassliche Aktionstags-Teilnehmer, verstehen wir als einen Teil der Entwicklung, auf die mit dem Aktionstag aufmerksam gemacht werden sollte.
Verstärkt seit 1997 wurden im Rahmen einer Säuberung repräsentativer Orte Obdachlose und offene Drogenszene vom Hansaplatz/Hauptbahnhof vertrieben. Da sich entgegen dem Bedürfnis von Stadtverwaltung und Geschäftsleuten diese Menschen aber nicht einfach in Luft auflösen konnten, etablierte sich ein Teil der Drogenszene im Schanzenviertel, zunächst im Schanzenpark, dann in die Wohnstrassen bis zur Flora. Die BewohnerInnen fühlten sich vom Senat im Stich gelassen und gründeten Initiativen, die schliesslich das in einer Medienkampagne kolportierte Bild vermittelten, das Viertel winde sich unter dem Würgegriff der Dealer. Der alte rote und neue rotgrüne Senat reagierte prompt und schickte seine Ordnungshüter auf die Strassen - mal als Grosseinsatz, mal als Streifenbüttel oder Kontaktbereichsbeamter. Ihre Aufgabe: Die Szene "auf Trab halten" (heisst: Ausweiskontrollen, Platzverweise, Festnahmen etc.) und das verlorengegangene Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates (der Stadt) wiederherzustellen. Die Flora bekundete schliesslich in mehreren Flugblättern, vor allem dem Zwergenflugblatt, ihre Solidarität mit der Drogenszene bzw. den Widerstand gegen die staatlichen Säuberungsmassnahmen. Auch an anderen Aktionen, den Informationstagen oder mit dem Anzünden der bürgernahen Wanne, wurde deutlich, dass mit der radikalen Linken kein "runder Tisch" zu machen ist.
Die herrschende Drogenpolitik wird von dem Widerspruch geprägt, illegalen Drogenkonsum weder verhindern zu können noch offiziell legalisieren zu wollen. Resultat dieses Widerspruchs ist es, einerseits Druckräume für KonsumentInnen einzurichten und andererseits, sobald diese die ihnen zugestandenen Räume verlassen, zum Vertreibungsobjekt zu machen. Noch krasser tritt dieser Widerspruch in der Spaltung der Drogenszene in HändlerInnen und KonsumentInnen zutage: Was so selbstverständlich zusammengehört wie das Essen auf dem Teller und der diesem Zustand vorangegangene Kauf desselben, wird in der öffentlichen Wahrnehmung des Drogenkonsums auseinandergerissen und einer unterschiedlichen Bewertung unterworfen: der Konsum der Droge ist zwar nicht erwünscht, wird aber kaum mit einem solchen Hass verfolgt wie der Verkauf. Nicht die Kriminalisierung von Drogenkonsum ist dann schuld an dem verelendeten und rechtlosen Zustand der KonsumentInnen, sondern der/die VerkäuferIn.
Zu dieser tendenziellen Dealerfeindschaft tritt in dem Fall, wo - wie im Schanzenviertel - in der Wahrnehmung der BürgerInnen der Handel von Nichtdeutschen betrieben wird, Rassismus hinzu. Nachdem die Figur des "schwarzen Dealers" in der öffentlichen Diskussion erst einmal konstruiert war, wurde die Ursache für das tagtäglich zu beobachtende Elend in sie projiziert. Was diese Figur so erfolgreich macht, ist u.a. zweierlei: Zum einen kann mit ihrer Hilfe die Schuld für das Elend im Viertel auf etwas projiziert werden, das ausserhalb der (Viertel-) Gemeinschaft steht. Zum anderen sind diejenigen, die mit dieser Figur verbunden werden - nämlich Menschen mit schwarzer Hautfarbe - ständig im Viertel physisch präsent und damit als Hassobjekt durchgängig verfügbar. Das Bild des "kriminellen Ausländers" als oberstem Schädling und Bedrohung des Gemeinwohls dürfte das Bild von seinem prominenten Kollegen, dem "Wirtschaftsflüchtling", in den letzten Jahren auf die unteren Plätze der rassistischen Hassliste verdrängt haben. Dabei entsprechen dem rassistischen Bild des "schwarzen Dealers", der unbemerkt eine "fremde", gefährliche Substanz, in die Mitte unserer "Gemeinschaft" bringe und diese damit angreife, die ständigen Verschärfungen der Migrationspolitik in Hamburg (z.B. Abschiebungen von Reiseunfähigen, Zerreissen von Familien durch getrennte Abschiebungen oder deren Zwangsverteilungen). So werden oft genug Afrikaner nach Kontrollen in Abschiebehaft genommen und gegebenenfalls abgeschoben, wenn es sich um Illegalisierte handelt.
Im Zusammenhang mit dieser Konstellation muss auch die Misshandlung von Alimang S. am 14.11.97 gesehen werden, der als vermeintlicher Drogendealer von Zivilstreifen am Schulterblatt aufgegriffen und im Beisein drei weiterer Kollegen am Schlachthof zusammengeschlagen worden war. Diese Überschreitung ihres legalen Handlungsrahmens ist kaum auf die Frustration der Bullen zurückzuführen, sondern entspricht dem strukturellen Verhältnis und den rassistischen Dealerhatzkampagnen. Als Organe der Staatsgewalt werden sie zunehmend mit willkürlichen Handlungskompetenzen versehen, wie z.B. den massenhaft ausgesprochenen Platzverweisen, dem probatesten Mittel, mit dem die Vertreibung von Obdachlosen und offener Drogenszene durchgesetzt wird. Ihr Einsatz wird nicht einer jeweils individuellen richterlichen Entscheidung unterworfen, sondern in der Willkür des einzelnen Beamten belassen. Diese Willkür übersetzen die entsprechenden Beamten für sich als absolute Macht. Das Objekt, an dem sie ihre Omnipotenz schliesslich ausleben können, steht ihnen strukturell - wie im Fall des Flüchtlings - mehr oder weniger rechtlos gegenüber. Die populistischen Sprüche ihrer Vorgesetzten, Innenminister/-senator, entschlossener gegen Ausländerkriminalität vorzugehen, setzen sie dann im kleinen schon mal praktisch um. Die Bullen, die Alimang S. misshandelten, wussten sehr genau, wen sie sich aussuchten.
Auch an den zwei neuen drogenpolitischen Verfügungen vom 1.9. dieses Jahres lässt sich ablesen, mit wie wenig Sinn und Verstand, aber dafür umso stärker ausgeprägten autoritärpopulistischen Reflexen der Hamburger Senat gesegnet ist. Mit der "Verfügung zur wirksameren Bekämpfung von Strassendealern" konkretisiert sich das allgemeine Rätsel, wie die in der zweiten "Verfügung zur Anwendung des ss31a Abs. 1 des BtMG" entkriminalisierten KonsumentInnen an ihren Stoff kommen sollen. In der Verfügung zur Bekämpfung der Strassendealer wird nicht nur technisch eine Zusammenfassung einzelner Vergehen geregelt, sondern darüberhinaus eine Beweislage für Drogenhandel ermöglicht, die jeder/m rechtstaatstreuen BürgerIn - soweit es sie/ihn noch gibt - die Haare zu Berge stehen lassen müsste: "Gelingt die Sicherstellung des Rauschgifts nicht, kann die Beweislage für einen Verstoss gegen das BtMG dennoch ausreichen, wenn [...] Zeugenaussagen dafür vorliegen, dass Drogen vom anbietendem Dealer verschluckt worden sind." (aus der Verfügung).
Hatte sich in Bremen noch leichter Protest entwickelt, als vermeintlichen Dealern Brechmittel verabreicht wurden, scheinen ihre hanseatisch-liberalen Kollegen einen "unsichtbareren" und sauberen Weg gefunden zu haben, um den vermuteten Handel zu beweisen. Wer sich also in Zukunft in unmittelbarer Nähe der Drogenszene befindet, sollte mögliche Schluckreize dringenst unterdrücken, wenn klar ist, dass noch andere "relevante Umstände", sprich: die "falsche" Hautfarbe, hinzukommen. In der Verfügung zur Entkriminalisierung wird allerdings auch den KonsumentInnen einiges abverlangt. Von der Strafverfolgung soll nur dann abgesehen werden, wenn kein "sozialschädliches Verhalten" vorliegt. "Sozialschädliches Verhalten" liegt dann vor, wenn "der Konsum vor besonders schutzbedürftigen Personen, etwa Kindern oder Jugendlichen, geschieht" (Verf. zur Anwendung des BtMG) Weil sich der Konsum illegalisierter Drogen nicht wirklich verbieten lässt, sollen sich die Konsumenten wenigstens an Orte halten, an denen sich niemand gestört sieht - was in einer Stadt, die nun einmal aus vielen Menschen besteht, schlicht unmöglich ist. Gegenüber den Dealern wird die Brechstange herausgeholt, als ob sie dafür büssen sollen, dass der Staat sich ausserstande sieht, seinen Drogenverbotsauftrag auch nachzukommen. (vgl. ausführlich Zeck Nr.81, Oktober 99).
So unwidersprochen sich letztlich rechtliche Verschärfungen gegenüber Junkies und Dealern durchsetzen, so behutsam sucht der Senat das Einverständnis des Bürgers. Während aus der Sicht vieler BewohnerInnen des Schanzenviertels sie vom Drogenproblem betroffen sind, und nicht etwa die gehetzten KonsumentInnen und Händler vom Drogenverbotsproblem, hat die Schanze als innenstadtnahes Viertel für zahlkräftiges Publikum eine weitaus positivere Perspektive als das Gejammer über Verslummung vermuten lässt. So zeigt die Politik neben ihrer rabiaten auch eine konstruktive Seite. Die Einsetzung des 9er Gremiums soll in Bezug auf das in drei Bezirken liegende Viertel (Mitte, Altona, Eimsbüttel) eine einheitlichere Politik ermöglichen. Der von diesem Gremium wiederum ernannte Quartiersmanager soll nun die Interessen der AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden in Einklang bringen und die anvisierte Umstrukturierung umsetzen. Da der Senat letzlich auch nicht weiss, wohin er die Drogenszene vertreiben soll, zudem mit dem Fixstern eine städtisch finanzierte Einrichtung vor Ort ist, wird den verunsichterten AnwohnerInnen auch noch ein Kontaktbereichsbeamter zugeteilt. Dieser soll Bürgernähe suggerieren, indem er als Bürger, der zwar eine Uniform trägt, sich im wesentlichen aber als "Partner im öffentlichen Raum" anbietet, eingeführt wird. Der Kontaktbereichsbeamte erfüllt dabei gleich zwei Funktionen: Zum einen ist er die kommunikative Brücke zwischen den (alternativ-liberalen) AnwohnerInnen und den Exekutivorganen in Kampfanzügen und soll Akzeptanz für die Vertreibung schaffen. Zum anderen suggeriert er als Ansprechpartner ein Ernstnehmen der Sorgen und Ängste der BürgerInnen, und stellt damit das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates wieder her. Das Bewusstsein, dass das mit ihm verbundene staatliche Interesse nicht immer das des Bürgers sein muss, verschwindet.
Obwohl zur Zeit die Linke im Schanzenviertel nicht unter einer massiven Repression zu leiden hat, besitzt jedes angestrengte Ermittlungsverfahren, jeder Prozess, eine Bedeutung. Verfahren kosten Geld, Zeit, binden Kräfte und sind schlicht nervig. Sie bedrohen GenossInnen konkret in ihrer persönlichen Freiheit und Unabhängigkeit. Ein Strafprozess richtet sich nicht nur per se gegen die vermeintliche Schuld eines/r Einzelnen. Häufig werden deshalb keine Massenverfahren angestrengt, damit sich die politische Situation nicht aufschaukelt. Gemeint sind aber alle, die sich der staatlichen Vertreibungspraxis in den Weg stellen. Dies geschieht in einer Form, die jeder und jedem klar machen soll, dass sie/er die/der Nächste sein könnte. Im Juristendeutsch wird dies als Generalprävention verstanden. Einer breiteren Solidarisierung soll so zumindest der Wind aus den Segeln genommen werden. Insbesondere soll durch eine Individualisierung der Strafverfolgung der gesellschaftliche und politische Rahmen, in dem die Kriminalisierung stattfindet, möglichst wenig hervortreten.
Insofern war es beispielsweise eine eindeutig politische Entscheidung des Repressionsapparates, den juristisch zweifelhaften Nötigungsvorwurf gegen Andreas B. in diesem Frühjahr bei Amtsrichter Schill verhandeln zu lassen. Mit seiner Verurteilung zu vier Monaten Freiheitsstrafe auf zwei Jahre Bewährung sollte allen, die sich immer noch der rassistischen Vertreibungspoltik in den Weg stellen, ein Signal gesetzt werden. Die Antwort auf die aktuelle Repressionsentwicklung kann für uns nur heissen, das, wofür die angegriffenen GenossInnen politisch stehen, weiterzuentwickeln. Das heisst konkret, den Widerstand in Theorie und Praxis gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung (nicht nur) im Schanzenviertel fortzusetzen. Es muss weiterhin darum gehen, soviel Druck wie möglich zu erzeugen, um den Handlungsspielraum der Behörden und ihrer HandlangerInnen einzuengen und das politische Kräfteverhältnis vor Ort in unserem Sinne zu verändern.
Kontrollen stören!
Gegen Ausgrenzung, Vertreibung
und Sicherheitswahn!
Für freies Fluten!
Vorbereitungsgruppe des Aktionstages vom 27.2.99
November 1999