Heraus wohin?
Stellungnahme der Roten Flora zur Nichtteilnahme an der Hamburger revolutionären 1. Mai Demo 2010, zur SoL und den stattfindenden Soliparties
Ausgehend von der traditionellen Bedeutung als Arbeiter_innenkampftag ist der 1. Mai in den letzten Jahrzehnten von der undogmatischen radikalen Linken auf vielfältige Weise neu belebt worden. Nicht nur der Kapitalismus, sondern auch die Vielfalt und Verwobenheit von Unterdrückungs- und Herrschaftsverhältnissen als zu überwindendes Ganzes sind dabei auf die Agenda gesetzt worden. Diese sich um den 1.Mai herum gruppierenden Kämpfe sind auch für die Rote Flora immer wieder politischer Bezugspunkt gewesen und sind es weiterhin.
So etwa die in Hamburg jährlich stattfindenden (sozial)revolutionären 1. Mai Demos. - Doch dieses Jahr gehen wir als Projekt auf Abstand zu dieser Veranstaltung und distanzieren uns politisch.
Ausschlaggebend dafür ist nicht die inhaltliche Ausrichtung der Demo, auch wenn sie in ihrem diesjährigen Zuschnitt auf eine eindimensionale und personalisierende Kapitalismuskritik von vielen im Projekt kritisiert und als Rückschritt hinter den Diskussionsstand der radikalen Linken bewertet wird. Entscheidend für unsere politische Absage ist vielmehr die "Personalie" des aktuellen Demobündnisses, namentlich die Teilnahme der Gruppe SoL (Sozialistische Linke) an der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration.
Die SoL ist eine im Spektrum der B5 organisierte Gruppe und ist in der Vergangenheit immer wieder sowohl in der Praxis als auch in den vertretenen Positionen unangenehm aufgefallen. Zuletzt bei der Verhinderung der Vorführung von Claude Lanzmanns Film "Warum Israel" im Oktober letzten Jahres im B-Movie. Hier war die SoL an der unter Anwendung von Gewalt durchgesetzten Blockade der Vorführung aktiv beteiligt.
Die Flora hat diese antisemitische Aktion verurteilt und sich mit der (erneuten) Aufführung des Films solidarisch erklärt. Die Anwendung von Gewalt ist inakzeptabel, um politische Differenzen innerhalb "der Szene" auszutragen. Ebenso ist es uns wichtig, eine klare Position gegenüber Antisemitismus - auch in der Linken - zu beziehen.
Die SoL hat die an sie gerichtete Kritik bislang zurückgewiesen und versucht inzwischen, durch den Verweis auf das (mittlerweile gar nicht mehr so) "breite" 1.Mai-Bündnis und die in diesem Zusammenhang in der Flora angesetzten Soliveranstaltungen ihre Akzeptanz in der Szene und ihre Bündnisfähigkeit zu demonstrieren. So geschehen in den Vorbereitungsstrukturen der Proteste zur nächsten Innenministerkonferenz. Hier hat sich die SoL einmal mehr als völlig uneinsichtig und zu keiner Selbstkritik bereit erwiesen und hat stattdessen einen scharfen und offensiven Ton gegenüber ihren Kritiker_innen angeschlagen.
Wir als Flora stellen unmissverständlich klar: Vor dem Hintergrund der Ereignisse vom Herbst letzten Jahres und dem Fehlen jeglicher Selbstkritik gibt es für uns keine Zusammenarbeit mehr mit dieser Gruppe. Die SoL ist für uns weder bündnisfähig noch sonstwie politisch akzeptabel!
Die in der Flora zum 1. Mai angesetzten Soliveranstaltungen werden allerdings trotzdem stattfinden. Dies liegt unter anderem an einem Versagen der Flora die notwendigen politischen Auseinandersetzungen angemessen zu führen. Bei der Zusage der Veranstaltungen vor einigen Monaten wussten wir bereits von der Teilnahme der SoL im Demo-Bündnis, zogen aber keine weiteren Konsequenzen. Es wurde lediglich fest abgesprochen, dass die SoL selbst an der Organisation und Durchführung der Parties nicht beteiligt ist. Wir gingen zu diesem Zeitpunkt von einem relativ breiten Bündnis aus, für das wir die Beteiligung der SoL nicht als ausschlaggebend bewerteten.
Selbstkritisch muss also angemerkt werden, dass es in der Flora bereits zu dieser Zeit versäumt wurde, eine grundsätzliche Auseinandersetzung um das Verhältnis zum 1.Mai-Bündnis zu führen. Darin kommt ebenso zum Ausdruck, dass Antisemitismus ein auch in der Flora nach wie vor in vielerlei Hinsicht brachliegendes Thema ist. Erst als das Bündnis zusehends auf ein engeres Spektrum zusammenschrumpfte, die SoL dadurch an politischem Gewicht gewann und der 1.Mai näher rückte, wurde in der Flora deren Beteiligung bewusst als Problem wahrgenommen und die Erkenntnis von Handlungsbedarf sickerte durch. Entsprechend versuchen wir nun, Position zu beziehen.
Dass eine Positionierung des Projekts erst so spät erfolgt(e) sehen wir als in unserer politischen Verantwortung liegend. Wir wollen diese nicht auf die Veranstalter_innen der Parties abwälzen und haben uns daher mit ihnen darauf verständigt, dass diese trotzdem stattfinden. Mit der darüber hinausgehenden Absage an die Unterstützung der revolutionären 1. Mai Demo wollen wir dennoch ein Zeichen setzten und deutlich machen, dass gewalttätiges Verhalten und antisemitische Positionen nicht tragbar sind. Voraussetzung für die Zusammenarbeit und die Entwicklung einer gemeinsamen politischen Perspektive in linken Strukturen und Bündnissen sind eine konsequente Absage an innerlinke Gewalt und an Antisemitismus.
Wir erklären uns weiterhin solidarisch mit am 1. Mai und anderswo geführten Kämpfen für eine bessere Welt!
Gegen Gewalt in innerlinken Auseinandersetzungen und gegen jeden Antisemitismus!
Für einen emanzipatorischen 1. Mai und für eine antikapitalistische Perspektive!
Plenum der Roten Flora, April 2010