Widerstand und Perspektiven der Roten Flora
Diskussionspapier und Einladung zur Vollversammlung
Mittwoch 13.01.2010 um 19 Uhr in der Flora
In den letzten Monaten zeichnet sich in immer stärkerem Masse ein möglicherweise bevorstehender Angriff auf die Rote Flora ab. Dies kommt für uns nicht überraschend, sondern ist u.a. eingebunden in die fortgeschrittene Umstrukturierung und Gentrifizierung des Schanzenviertels. Wir haben weder Angst noch Panik vor einer Bedrohung der Roten Flora. Wir sehen darin vielmehr die Möglichkeit für eine Neubestimmung stadtpolitischer Kämpfe im Floraumfeld und die Chance für die Entwicklung einer breiten Protestbewegung. Um dies zu befördern, haben wir das folgende Diskussionspapier für eine Vollversammlung am 13.01. geschrieben. Wir sind eine von vielen Gruppen aus den Zusammenhängen der Flora und wollen uns schwerpunktmässig mit den politischen Rahmenbedingungen einer Kampagne für deren Erhalt befassen.
Phäntomenale Zustände
Die Ursprünge der Roten Flora liegen in der Verhinderung des Musicalprojektes "Phantom der Oper" im Schanzenviertel. Nach dem weitgehenden Abriss des ursprünglichen Flora-Theaters wurde die zerstörte Bauruine 1989 als Stadtteilkulturzentrum besetzt. Anschliessende Vertragsverhandlungen wurden Anfang der Neunziger Jahre von Seiten der Stadt ohne Ergebnis abgebrochen. Im Jahr 1995 zerstörte ein Grossbrand das Dachgeschoss und den gesamten ersten Stock. Mit grossem Aufwand wurden diese massiven Schäden anschliessend behoben. Als die Stadt 2001 erneute Verhandlungen anbot, wurden diese nach einer mehrmonatigen Diskussion rund um das Projekt abgelehnt. Einerseits wurde festgestellt, dass es ohne das Engagement der Nutzer_innen die Substanz des Hauses längst nicht mehr gäbe, andererseits sah man die gewachsene kulturelle und politische Praxis durch vertragliche Regelungen und Gängelungen bedroht.
"Theres not enough room to swing a cat" Roberto Benini in "Down by law" beim Betreten einer Gefängniszelle
Dabei ging es vor allem auch um ein politisches Symbol der Verweigerung in Zeiten, in denen repressive Mitwirkungspflichten und die städtische Vertreibungspolitik eskalierten. Wer hier lebt, hat sich auch an die Regeln zu halten, lautet bis heute die Devise. Die sollen irgendwo in der Mitte der Gesellschaft verborgen sein. Einem Ort an dem sich niemand wirklich befindet, der lediglich eine totalitäre Verdichtung des Lebens und der Menschen auf einen Punkt bedeutet. Es kann allerdings sehr einfach und befreiend sein, "Nein" zu sagen und seine Energien statt in überflüssige Verhandlungen, in konstruktive Dinge wie die Organisierung von Protest, Veranstaltungen oder Konzerte zu lenken. Da eine Räumung dem Senat zu dieser Zeit als politisch nicht durchsetzbar schien, wurde nach der Ablehnung von Vertragsverhandlungen, um sich aus der Affaire zu ziehen, das Gebäude aus städtischem Besitz an einen privaten Investor verkauft. Investor Kretschmer wurden gleichzeitig bis März 2011 zahlreiche Auflagen erteilt, das Gebäude keiner anderen Nutzung als der eines Stdatteilzentrums zuzuführen und mögliche Gewinne eines Verkaufs der Stadt zurück zu erstatten.
Trat dieser anfangs mit der üblichen gönnerhaften Haltung eines Kunst- und Kulturmäzens in Erscheinung, änderte sich dieses Auftreten, je näher die magische Linie von 2011 rückte. Inzwischen formuliert er ganz offen seine Absicht, auf den Betrieb des Hauses Einfluss nehmen zu wollen, bringt sich und seine Vorstellungen zur Flora in der Presse ins Gespräch und versucht, die Praxis des Zentrums als gescheitert darzustellen. Aber Kretschmer hat in Wirklichkeit weder etwas zur Roten Flora noch sonst etwas zur politischen Diskussion beizutragen.
Er ist lediglich ein vom Senat eingesetzter Märchenprinz als virtueller Besitzer eines Luftschlosses: Einer Flora, die nicht mehr kollektiv besetzt und autonomer Veranstaltungsort, sondern befriedetes Eigentum sein soll. Ebensogut könnte man die Elbe und das schlechte Wetter an einen privaten Investor verkaufen. Das Haus ist seit vielen Jahren ein Ort der Kommunikation und wird von mehreren hundert Menschen als Zentrum genutzt. Der Investor ist weder Regenmacher noch Besitzer der Roten Flora. Er kennt das Projekt lediglich aus der Zeitung und hat dort seit 10 Jahren "Hausverbot". Zu keinem Zeitpunkt wurde irgendeine Form von Gespräch geführt. Jedenfalls wenn man seinen kurze Zeit nach dem Kauf abgebrannten PKW nicht als nonverbale Kommunikation zählt.
Für einen gesellschaftlichen Begriff der Stadt und der Verhältnisse!
Die Flora vertrat von Anfang an die Position, dass sich mit dem Verkauf des Hauses nichts am Status Quo geändert hat. Das Gebäude blieb besetzt und der Konflikt wurde nach wie vor als einer um das Verständnis von Gesellschaft und Stadt betrachtet. Privatisierungen und der Rückgriff auf privatwirtschaftliche Standortinteressen gelten als stadtentwicklungspolitische Allzweckwaffe, um sich gesellschaftlicher Verantwortung und Begriffen von Teilhabe und Kollektivität zu entziehen. Der Ursprung des Konfliktes um die Rote Flora ist kein isoliertes Ereignis, sondern die Folge einer von vielen erfahrenen strukturellen Gewalt, mit der die Städte durchökonomisiert, zu anschlussfähigen Produktions- und Konsumräumen für Marktinteressen werden. Die Vertreibung von Drogenkonsument_innen und ärmeren Bevölkerungsschichten geht damit ebenso einher wie die Kontrolle und Überwachung des öffentlichen Raumes.
Die Flora ist entstanden im politischen Widerspruch zu Standortinteressen. Sie ist in ungewollter Form selbst zu einem kreativen Standortfaktor geworden und wurde im Laufe der Zeit von dieser Entwicklung wieder überholt und zum Störfaktor. Sie gehört heute zur Marke, dem gefühlten Flair des Stadtteils und wird von Investoren und Stadtplaner_innen gleichzeitig als "Fremdkörper" beschrieben. Dieses ambivalente Verhältnis, eine Mischung aus Tourismusmagnet, heimlicher Affaire der Handelskammer und Hassobjekt bürgerlicher Gesellschaftsvorstellungen zu sein, prägt die Rolle der Flora. Es wurde vom Projekt dabei nicht auf eine selbstintegrative Karte oder das Wohl des Standortes gesetzt.
Im Rahmen der Drogenverbotspolitik und polizeilichen Vertreibungen wurde bewusst eine Haltung entgegen ökonomischer Interessen oder Forderungen etablierter Anwohner_innen eingenommen. Wurde Ende der Neunziger das Projekt von vielen Anwohner_innen aufgrund dieser Haltung eher kritisch gesehen, so hat sich dieses Bild nach der Einverleibung des Stadtteils durch den Bezirk Altona und einer sich weiterdrehenden Gentrifizierung schlagartig geändert. Die Flora wird derzeit vor allem als positiver Bezugsfaktor für Kämpfe von Anwohner_innen gegen Mietsteigerung, Vertreibung oder die Verschlechterung der Lebensverhältnisse durch die städtische Politik empfunden. Wir sehen das Projekt daher weder isoliert noch als ungebrochenen Teil des Stadtteils. Wir sind uns jedoch einer breiten Solidarität im Falle einer Räumung sicher und fühlen uns gerade aufgrund unserer ebenso ambivalenten und untaktisch ehrlichen wie notwendigen Positionierungen gut aufgestellt.
Das Schanzenviertel ist für uns kein homogener Ort eindeutiger Interessen, die Flora deshalb auch kein Ausdruck der gesellschaftlichen Schnittmenge im Stadtteil oder gar der Mehrheitsinteressen im Bezirk. Dies ist auch gar nicht unser Anspruch! Das Themenfeld der Stadt ist grösser, als die Schanze und die daran anknüpfenden Fragen stellen sich globaler, als sie im lokalen aufzulösen wären. Für uns bedeutet Stadtteilpolitik eine parteiliche Bezugnahme und Intervention für gesellschaftliche Gruppen, die im öffentlichen Diskurs abgehängt werden und gegen die Bedingungen vor Ort, die dies begünstigen! Einen "Viertelpatriotismus" als kleingesägte Form eines Standortnationalismus lehnen wir dabei als Teil einer Figur ab, die lediglich neue ideologische Munition für Vertreibung und Ausgrenzung liefert. Für uns gilt es stattdessen, die Widersprüche um uns herum über limitierende Begriffe hinaus in Szene zu setzen und zu thematisieren. Sich zu vernetzen und punktuelle Auseinandersetzungen um den öffentlichen Raum möglich zu machen. Nicht die vermeintliche Unveränderbarkeit der Verhältnisse zum Ausgangspunkt unseres Blickwinkels werden zu lassen, sondern unser Bedürfnis nach radikaler Veränderung. Eine Perspektive für eine grundsätzliche Infragestellung des Systems gesellschaftlicher Werte und Normen.
Pick up your fights!
Die Verweigerung eines Standortwettbewerbs, die Ablehnung der Reduzierung der Stadt als Verhältnis kapitalistischer Konkurrenz zu anderen Metropolen und Regionen ist für uns ein zentraler Ansatz für eine Kampagne, an die auch andere Projekte von St. Pauli Süd über Berlin nach Kopenhagen und Barcelona mit eigenständigen Inhalten anknüpfen können. Eine Fokussierung auf den Investor entpolitisiert den Konflikt zur privatwirtschaftlichen Auseinandersetzung. Stattdessen gilt es, die Thematik Stadt, Stadtteil, Vertreibung und die Frage, wie leben wir hier, ins Zentrum zu rücken. Scheissegal, ob Kretschmer formaler Besitzer der Flora ist, wir sehen uns in einem politischen Konflikt mit dem Senat und stellen die Frage nach dem Gesellschaftsbegriff. Stadt bedeutet für uns Plätze für Menschen auf der Strasse, Orte der Heimlichkeit und des Versteckspiels. Hafenstädte waren schon immer Orte der Durchreise, Menschen die ankommen, auf dem Weg sind, untertauchen und wieder auftauchen. Wir wollen keine überwachte und regulierte Topographie der Stadt, in der dies alles nicht mehr möglich ist.
Wie entsteht Bewegung?!
Die Rote Flora steht für mehr als die Mauern und Steine oder die Gruppen aus dem Haus. Mit der VV wollen wir daher allen, die sich als Umfeld verstehen oder sich positiv auf das Projekt beziehen, die Möglichkeit schaffen, sich zu einem frühen Zeitpunkt an der politischen Auseinandersetzung um das Gebäude zu beteiligen und einzubringen.
Die Flora ist von ihrem Selbstverständnis ein autonomes und linksradikales Zentrum, versteht sich aber auch als spektrumübergreifendes Projekt, das von und durch die politischen Bewegungen um sie herum gefüllt wird. Der Kampf um die Flora kann deshalb nicht isoliert auf diese oder als symbolischer Konflikt um das Gebäude als Institution geführt werden. Stattdessen ist es notwendig, die Bedrohung als politische Chance zu verstehen, die Diskurse um Stadt und Gesellschaft zuzuspitzen. Es geht uns nicht darum, das Gebäude als "Mahnmal" autonomer Politik und Geschichte zu erhalten oder als reines Veranstaltungszentrum, sondern als lebendigen Motor von kultureller Verunsicherung, Protest, Kritik und unterschiedlichen Widerstandsformen.
Wenn wir die Flora im Hinblick auf 2011 verteidigen wollen, dann müssen wir jetzt damit beginnen! Nicht erst wenn die Polizei vor der Tür steht, ist der Moment gekommen, das Projekt mit seinem gesamten physischen Gewicht in die Wagschale der Konfrontation um den städtischen Raum zu werfen. Internationale Vernetzung, die Erfahrungen von besetzten Projekten in anderen Ländern und Städten ist dabei ebenso wichtig wie aktuelle Bewegungsmomente vor Ort. Wir wollen uns nicht auf die Ausgangspunkte der eigenen vier Wände und Befindlichkeiten, der Situation im Stadtteil, der Stadt oder BRD beschränken, sondern einen gesellschaftlichen Blick und Anknüpfungspunkte über diese Grenzen hinaus entwickeln. Die Entwicklung von Kritik an einer neoliberalen und autoritären Formierung in Europa bietet politische Zielsetzungen für grenzüberschreitende Widerstandsperspektiven.
Dies alles ist kein widerspruchsfreier Raum. Das Gängeviertel steht für eine andere inhaltliche Praxis als die Mobilisierung gegen das Bernhard-Nocht-Quartier, die Rote Flora tickt anders als das Gartenkunstnetz zwei Strassen weiter. Alles andere würde auch kaum unseren unterschiedlichen Ausgangspunkten oder auch den abweichenden Identitäten um das Projekt selbst entsprechen. Die Flora und ihr Umfeld sind kein "wir", sondern eher eine Vielzahl unterschiedlicher Identitäten. Dennoch überschneiden sich politische Vorstellungen, treffen wir uns auf Demos und sind gemeinsam von den sich wechselnden Konzepten der wachsenden, kreativen oder einer sonst wie gemanagten Stadt betroffen.
Ein solidarischer Umgang stellt nicht die eigene Situation in den Vordergrund, sondern das Verhältnis, das Begehren und den Wunsch nach Aneignung. Es ist nicht entscheidend, ob ein Projekt oder Zentrum Verträge hat, Miete bezahlt oder städtische Gelder erhält, sondern wie es sich positioniert. Es gibt Überschneidungen vom Kampf um die Flora, zu Obdachlosen oder Drogenkonsumentinnen, die Räume brauchen, zu den Migrant_innen, die illegalisiert hier leben und Jugendlichen, die überall stören, wo sie nicht konsumieren. Solche Bezüge reichen über die Stadt hinaus zu anderen Orten und über Grenzen hinweg.
Wer in Köln, Erfurt, Berlin, Kopenhagen, Barcelona oder Rio de Janeiro um ein Haus kämpft, wird vermutlich eine andere Ausgangssituation haben. Aber die Kritik an einer Verwertbarkeit des öffentlichen Raumes, der Kampf um Anwesenheit und Sichtbarkeit in der Gesellschaft, die Legitimität hier zu sein, auch ohne die Norm zu erfüllen, teilen wir als Kern unserer Unruhe. Wie entwickelt sich Widerstand?
Die Geschichte der Flora ist geprägt von praktischen Interventionen und auch ein Kampf um deren Erhalt wird solche Formen annehmen. Die militante Verteidigung wird z.B. ein wesentlicher Aspekt unmittelbar vor und nach einer Räumung sein. Dies wird, wie auch andere Formen der Solidarität, kein Selbstläufer sein, sondern muss sich jenseits von Verbalradikalität entwickeln. Die Erfahrungen dafür lassen sich aus der Praxis aktueller Kämpfe von anderen Projekten oder Politikfeldern ziehen. Allen muss klar sein: Die Räumung der Roten Flora kann nicht militant verhindert werden, sondern lediglich politisch! Wir werden eine "militärische" Auseinandersetzung immer verlieren. Unser Kampf bleibt ein symbolischer, ist der Versuch den Preis hochzutreiben und Widersprüche angreifbar und damit greifbar zu machen.
Wer über die Organisierung von Aktionen, Demos oder Strassenschlachtszenarien die politische Bestimmung ausser Acht lässt, entwaffnet sich als Bewegung selbst. Kritik ist die Grundlage jeder Praxis. Inhalte und eine Vorstellung von Gesellschaft müssen Gradmesser über Sinn und Unsinn von z.B. militanten Aktionen sein. Energie gilt es in Bezug auf die Flora derzeit deshalb nicht in unbestimmten Aktionismus zu stecken, sondern in Kommunikation, überregionale und lokale Vernetzung, Diskussion und Step-by-Step praktische Intervention in bestehende Kämpfe.
Militanz bedeutet nicht den Stein der Weisen zu entdecken, sondern sich selbst mit dem Gewicht des Diskurses und der eigenen Unsicherheit in die Auseinandersetzung zu werfen. Militanz ist clever, erfindet sich neu und ist besser nicht dort anzutreffen, wo man sie erwartet. Sie trägt nicht nur schwarze Kapuzenjacken, sondern auch mal Anzug und Krawatte, um an verbotene Orte zu kommen oder einfach nur umsonst zu essen beim Buffet im Luxushotel. Militanz spiegelt sich in Parolen, Farben und Plakaten von den Wänden, bricht Türen auf und besetzt Häuser. Scherben, so heisst es, bringen Glück und nach jenem war schliesslich auch schon Herr Rossi auf der Suche.
Wer Militanz stattdessen zum Feuerschein reduziert und als solchen fetischisiert, statt Brennpunkte politischer Intervention zu setzen, richtet sich in der heimeligen Lagerfeuerromantik einer Identitätspolitik ein, die das Gegenteil von Bewegung meint. Wer Militanz zur heiligen Kuh erklärt und meterweit vor sich herträgt, hat weder die Hände frei zum Werfen noch den Blick frei auf die Verhältnisse. Eckpunkte einer Kampagne?!
Uns interessiert, wo wir Bedingungen und Verknüpfungen für die Möglichkeit politischer Interventionen herstellen können. Der Kampf gegen Sexismus, Antisemitismus, Rassismus oder Nationalismus, das selbstkritische Bewusstsein von diesen Macht- und Herrschaftsstrukturen durchwoben zu sein und dieses Verhältnis zum Gegenstand und Ausgangspunkt zu machen, ist für uns ein untrennbarer Bestandteil einer Kampange für den Erhalt der Flora. Das, wofür wir Postionen ergreifen und die Verhältnisse im Alltag, denen wir uns verweigern wollen, stehen für uns im Zentrum dessen, was wir mit der Flora verteidigen wollen. Wir kämpfen nicht für Nischen und Freiräume, sondern wir kämpfen gegen gesellschaftliche Normen, die uns in solche zwingen. Nischen, dunkle Ecken und Freiräume sind wichtige Rückzugsorte und Ausgangspunkte, aber wenn wir sie zum Gegenstand selbst erklären, erliegen wir denselben Fehlern wie die Alternativbewegung der siebziger Jahre.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen! Wir halten im Zusammenhang mit der Flora einen politischen Fokus auf einen Freiraumbegriff als zu dünn für eine Kampagne, die uns über den Tag hinaus bringen soll. Strukturell sind unsere Selbstorganisierungsmodelle nicht automatisch im Widerspruch zum herrschenden Alltag, sondern bieten ironischerweise Andockflächen für neoliberale Argumentationen. Kultur ohne staatliche Förderung, unbezahlte soziale Aktivitäten als Dienst an der Gesellschaft, Selbstversorgung und Mitwirkungspflicht, alles Dinge, die von Ökonomen eingefordert werden. Da heisst es aufpassen, nicht ungewollt zum Vorbild einer deregulierten Vorstellung von Gesellschaft gemacht zu werden.
Besetzte Häuser und autonome Zentren sind wichtige Erprobungsfelder kollektiver Alltagsorganisierung und widerständischer Vernetzung. Aber frei sind wir deshalb noch lange nicht und innerhalb von vier Wänden werden wir dies auch nicht werden. Wir bewegen uns tagtäglich in Widersprüchen und alles, was wir an Gegenentwürfen in Freiräumen entwickeln, ist verwoben mit dem Bestehenden und wird aufgesogen, wie ein Schwamm das Abwaschwasser vom Spülbeckenrand in den Abguss befördert. Wir fordern, wenn schon, die ganze Stadt als Freiraum. Wir haben keine Lust, morgens zur Arbeit gezwungen zu werden, um abends als Kund_innen für die Freizeitindustrie bereit zu sein. Zweimal Kurzurlaub im Jahr und ansonsten bei jedem Schritt und Tritt überwacht für den behaglichen Stillstand der Verhältnisse.
Wir machen keinen Beliebtheitswettbewerb und schielen auch nicht funktionalisierend auf irgendwelche Massen. Wir sind gleichzeitig aber in notwendiger Weise offen für andere Sichtweisen und Vorstellungen. Wer um und mit für die Flora kämpft, muss unsere Blickwinkel nicht unbedingt teilen. Wir sehen in einer Kampange jenseits unserer Positionen in der Roten Flora vielmehr ein Forum für andere eigenständig formulierte politische Ziele und weitere Projekte, die sich auf eigene Weise manifestieren können. Ein Konfliktraum für temporäre Bewegungsmomente, der über ein primäres Ziel oder vereinnahmbare Eindeutigkeiten hinausgeht und das Ganze zum Thema macht.
Solidarität statt Repression!
Wir halten es für wichtig, Repression in Kampagnen von vorne herein solidarisch mitzudenken. Die letzten Jahre waren geprägt von zunehmender Überwachung, polizeilicher Aufrüstung und der Zuspitzung autoritärer Sicherheitskonzepte. Wurden soziale Bewegungen mit dem Arsenal der Terrorismusbekämpfung kriminalisiert. Werden nun Sachschäden bei politischen Aktionen gezielt dramatisiert und als Gefährdung von Menschenleben hochgespielt. Was hat man davon zu halten, wenn Steinwürfe derzeit als legitimer Grund für scharfe Schüsse der Polizei herhalten sollen, wenn theatralische Ermittlungskonstrukte aufgebaut werden und in den Medien gar die Gefahr der Renaissance eines bewaffneten Kampfes heraufbeschwört wird? Wir erleben zur Zeit nicht nur aufblühende Proteste gegen Bildungsabbau oder die städtische Politik, sondern als Gegenbewegung auch eine Sehnsucht nach autoritären Werten und Normen, die Gesellschaft nicht mehr als Ausgangspunkt, sondern als Gefahrenquelle denkt. Die präventiv polizeiliche Ausnahmezustände und Kontrollinstrumente dagegen setzt, die Protest als eine Grundlage emanzipatorischer Weiterentwicklung delegitimieren will und stattdessen einen respektvollen Untertanengeist einfordert.
Es ist für uns auch eine Form der Kritik gesellschaftlicher Gewaltformen, wenn das Hauskollektiv des Ungdomshuset sich gegen eine Räumung mit Barrikaden verteidigt, andere militärisches Gerät für Auslandseinsätze unbrauchbar machen oder wieder andere durch Glasbruch auf Gentrifizierung und Vertreibung aufmerksam machen. Wir finden wichtig, dass sich politische Bewegungen dabei nicht durch bleierne Konstrukte oder Totschlagargumente der inneren Sicherheit spalten lassen. Wir sind solidarisch mit Betroffenen von Repression und allen, die sich vermummen, um der Welt ein Gesicht zu geben. Wir lassen es drauf ankommen!
Die Räumung der Roten Flora wäre ein existentieller Angriff auf autonome Strukturen in Hamburg und darüber hinaus. Der Versuch, unsere Strukturen zu zerschlagen und die 20jährige Widerstandsgeschichte des Projektes abzuwickeln. Wir werden weder warten, bis sie vor der Tür stehen, um auf die Barrikaden zu gehen, noch friedlich unserem Schicksal entgegensehen. Es gibt genügend Möglichkeiten und Gründe, sich in unterschiedlichen Konfliktfeldern einzubringen und linke Kritik und Praxis weiterzuentwickeln. Wir wollen weder integriert noch an die Kette gelegt werden und dieses Bedürfnis ist legitim: Wir sind das "UFO im Stadtteil". Das schwarze Loch im öffentlichen Raum. Die Stadt wird uns nicht los, weil wir ein Teil dessen sind, was das Leben selbst ist.
Auf der Vollversammlung wollen wir nicht über austauschbare Investor_innen jammern oder über juristische Kniffs sprechen. Wir wollen stattdessen einen Auftakt für eine Kampagne setzen, die sich auf aktuelle Kämpfe gegen kapitalistische Standortpolitik bezieht und die Flora zum Ausgangspunkt und Teil von Bewegung macht. Wir möchten dazu konkrete Vorstellungen entwickeln, wie eine Kampagne aussehen könnte und wo inhaltliche Eckpunkte und notwendige politische Grenzen der Zusammenarbeit liegen. Dazu werden wir erst ein grobes Bild einer möglichen Entwicklung bis 2011 zeichnen, um dann anhand einiger Thesen in die inhaltliche Diskussion einzusteigen.
Autonome Gruppe für Flora-Aktivismus [Dezember 2009]
Kontakt: AGFA
agfa@nadir.org