Kämpfe um das Haus und für die Weltrevolution
"Die spinnen, die Römer" - Rote Flora und polizeiliche Belagerungen
Wider Erwarten hat die Besetzung der Flora seit dem 1.11. 1989 keine Räumung der Polizei nach sich gezogen. Trotzdem liess der erste polizeiliche Grosseinsatz nicht lange auf sich warten. Anlass war die sogenannte Silvesterdemo, die in der Jahren zuvor vom Hafen bis zum Untersuchungsgefängnis und zurück ging. 1989/90 nahm die Silvesterdemo - verboten, wie immer - ihren Ausgang an der Flora. Allerdings kam die Demo nur bis zum Neuen Pferdemarkt, um dort von einem polizeilichen Grossaufgebot gestoppt zu werden.
Die Demoleitung entschloss sich, zur Flora zurückzukehren. Begleitet von einem massiven Polizeispalier retteten sich die 800 Menschen bis vor die Flora, um dann beim Versuch, mit heiler Haut ins Gebäude zu gelangen, auf der Treppe fürchterlich zusammengeknüppelt zu werden. Mindestens 30 Menschen wurden durch diesen Schlagstockeinsatz verletzt. Noch monatelang zierten gespaltene Helme von DemoteilnehmerInnen und geborstene Polizeischlagstöcke mahnend die Volxküche.
Nur ein halbes Jahr später lag die Flora bereits wieder im Blickpunkt des (polizeilichen) Interesses. Im Juni 1990 fand ein Kongress der Internationalen Handelskammervereinigung in Hamburg statt. Im Rahmen dieses internationalen Grossereignisses sollte die Eröffnung des Musicaltheaters "Phantom der Oper" gefeiert werden. Nachdem sich am ursprünglich geplanten Standort die BesetzerInnen eingenistet hatten, wurde der entstandene Betonbau mit dem Charme eines AKW "Neue Flora" getauft.
Das alles war Grund genug, mit den "Phantomenalen Tagen" eine einwöchige Gegenveranstaltung zu organisieren. Während die Demonstrationen gegen den Handelskammer-Kongress eher mässig besucht waren, geriet der Premierentag des "Phantom der Oper" zu einem Erfolg. Natürlich waren an diesem Tag alle Demos verboten worden und die Auftaktkundgebung vor der Roten Flora wurde durch ein massives Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern aufgelöst. Listig gingen die Polizeihundertschaften in den Strassen rund um die Flora in Stellung, um jegliche Aktivitäten im Keim zu unterbinden. Derweil sickerten jedoch Hunderte von DemonstrantInnen in "Bürgerzivil" in Richtung Musicaltheater. Dies sollte mit seinen erlauchten Premierengästen durch ein massives BGS-Aufgebot von mehreren Hundertschaften geschützt werden. Doch der BGS hatte trotteligerweise den Einsatzraum (Holstenbahnhof) mit dem Bereitstellungsraum (Parkplätze am Volksparkstadion) verwechselt. Bis die Einsatzleitung diesen peinlichen Irrtum bemerkte, hatten schon einige hundert Premierengäste unvergessliche Eindrücke sammeln können, indem sie sich durch ein Spalier von DemonstrantInnen kämpfen mussten, die unmittelbar vor dem Musical vertretungsweise für den BGS Aufstellung genommen hatten. Bis die Hamburger Hundertschaften von der Roten Flora zur Neuen Flora verlegt waren, hatten die Journalisten bereits Dutzende Bilder von mit Farbe bekleckerten Premierengästen und diversen entglasten Luxuslimousinen im Kasten....
Weniger lustig war ein Demoeinsatz der Polizei 1993 anlässlich einer Demonstration gegen die rassistischen Morde in Solingen. Nachdem es bereits auf dem Weg der Demo von der Innenstadt ins Schanzenviertel immer wieder zu zum Teil heftigen Strassenschlachten gekommen war, setzten sich die Zusammenstösse im Viertel und vor der Flora fort: direkt vor der Flora wurden aus Sperrmüll und Baustellen-Equipment Barrikaden errichtet, die von einem Grossaufgebot der Polizei, unterstützt von zwei Wasserwerfern, angegangen wurden. In der Folge wurde dann die Flora von mehreren Hundertschaften umstellt, vor dem Hauptportal postierten sich zwei Wasserwerfer. Mehrere hundert Menschen sassen zunächst im Gebäude fest. Die Polizei kündigte an, alle Personen, die die Flora verlassen wollten, vorläufig festzunehmen. Nachdem die Polizei dann aber fast 2 Stunden wie die Katze vor dem Mauseloch sass, zog sie sich dann doch zurück, ohne dass es zu einer weiteren direkten Konfrontation gekommen wäre.
Ein Grosseinsatz der Polizei im Juni 1995 im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Kriminalisierung der Zeitung "radikal" an der Flora führte zu massiven Auseinandersetzungen. Im Laufe des Tages war bereits eine Demo durch die Polizei aufgelöst worden, an der Flora formierte sich kurz darauf eine erneute Spontandemo. Bevor diese Demo sich in Bewegung setzen konnte, wurde sie von der Polizei angegriffen. Es kam zu Steinwürfen, Schlagstockeinsatz und Festnahmen. Zwei Menschen wurden dabei von Angehörigen des Einsatzzugs Mitte am Seiteneingang zusammengeschlagen, einer erlitt dabei schwere Verletzungen, ohne dass beide unmittelbar am Geschehen beteiligt gewesen wären.
"Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den Polizeibericht..."- Das kleine "ABCD-E" polizeilicher Repression
Im November 1988 verkündete der damalige Innensenator Werner Hackmann die Gründung einer zivilen Sondereinheit der Polizei, die sogenannten E-Schichten, die an verschiedenen Wachen mit besonderen Kriminalitätsschwerpunkten angesiedelt wurden. Sie sollten die regulären Dienstschichten (A bis D genannt) der Polizeireviere 11, 21 und der Lerchenwache 16 ergänzen und vornehmlich gegen politisch motivierte Gewalttäter vorgehen.
Für die E-Schicht der Wache 16 ergab sich aus dieser Vorgabe von selbst als einer der Einsatzschwerpunkte die politisch aktive Szene im Schanzenviertel und mit Eröffnung im September 1989 als deren Treff die Rote Flora. Da die sogenannte "politische Gewaltkriminalität" sich weder durch erweiterten Streifendienst oder polizeiliche Aufklärungsbroschüren noch durch den Einsatz des Verkehrskaspers bekämpfen liess, entwickelte die E-Schicht geradezu intuitiv ihr eigenes Konzept: die gezielte und systematische Einschüchterung der "Zielgruppe", z.B. durch verbale Provokationen, willkürliche Festnahmen und immer wieder Misshandlungen.
Einen ersten Vorgeschmack bekam im Sommer 1989 Lutz P., der sich nach einem Bagatell-Vorfall am Floragelände zusammen mit anderen Menschen zur Wache 16 begab, um die dort vorläufig Festgenommenen abzuholen. Nach einer Rangelei wurde er wahllos aus der Menge herausgegriffen und in die Wache gebracht. Dort wurde er so schwer misshandelt, dass er das Polizeirevier via Rettungswagen ins Krankenhaus verliess. Die Kette der Misshandlungen setzte sich 1990/91 fort, machte nicht mal vor Anwältinnen halt, die mitsamt ihren vertraulichen Akten abends auf der Strasse festgenommen und deren Unterlagen auf der Wache kopiert wurden, bevor sie wieder auf freien Fuss gesetzt wurden.
Im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Flora-Parkräumung wurde Frank F. so schwer misshandelt, dass er eine Woche im Krankenhaus verbringen musste. Dieser und vorangegangene Fälle waren schliesslich Grund für die Erwähnung der BRD im internationalen Menschenrechtsbericht von amnesty international und der Einleitung einer förmlichen Untersuchung der Menschenrechtsorganisation. Zu diesem Zeitpunkt war einer der Hauptverantwortlichen für die Übergriffe, der E-Schichtleiter Christoph Stapmanns, schon aufgrund der massiven öffentlichen Kritik versetzt worden. Jener geriet einige Jahre später als einer der Hauptakteure im Zusammenhang mit der Misshandlung von Schwarzafrikanern an der Wache 11 in die Schlagzeilen. Er war u.a. für die Erstellung einer von ihm als "Negerkartei" bezeichneten illegalen Datensammlung verantwortlich. Aber auch sein Nachfolger, Sönke Harms, bekam die Prügeltruppe nicht in den Griff und nach einer ganzen Reihe von Versetzungen wurde die E-Schicht schliesslich offiziell aufgelöst. Allerdings existiert noch heute eine zivile Sondereinheit an der Wache 16, die als sogenannte P-Schicht alles dafür tut, in der Kontinuität ihrer Vorläuferin zu stehen. So wurden erst im Mai zwei Beamte dieser P-Schicht wegen Misshandlung eines Schwarzafrikaners zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Gewählte Parlamente gegen selbsternannte FloristInnen
Seit Beginn der Kampagne zur Verhinderung des Phantomprojekts und der Durchsetzung der Roten Flora war eine Forderung die Schaffung eines Parks auf der durch den Teilabriss des historischen Floratheaters entstandenen Freifläche. Nach der Verhinderung des Musicalprojekts und der Eröffnung der Roten Flora sollte die Idee eines öffentlichen Parks umgesetzt werden. Dies um so mehr, als die Stadt die nicht ganz freiwillig entstandene Freifläche sogleich mit Wohnungen zubauen wollte, obwohl es auf dem nahegelegenen Lauegelände einen nicht unbeträchtlichen Leerstand gab.
Es warf (und wirft...) ein bezeichnendes Licht auf die politische Kultur dieser Stadt, dass der Konflikt zwischen Wohnraumschaffung und Stoppen der zunehmenden Verdichtung des innerstädtischen Raums nicht politisch gelöst wurde, sondern polizeilich. Nachdem es im Laufe des Jahres 1990 eher symbolische Versuche gab, den Park zu realisieren, die immerhin dafür sorgten, dass der Baubeginn verschoben wurde, änderte sich das im darauffolgenden Frühjahr.
Zwischen Mai und Juni 1991 entstand ein "echter" Park, dessen Tage jedoch gezählt waren - nach Ansicht des damaligen Innensenators Hackmann symbolisierte die neu entstandene Grünanlage nämlich die Frage, ob "gewählte Parlamente oder selbsternannte Kräfte" in der Stadt das Sagen hätten. Und nachdem im Mai 1991 die SPD die Wahlen gewann, gab die Innenbehörde "grünes" Licht zur Räumung des Parks und für einen Baubeginn.
Mehrmals im Verlaufe des Junis wurde der Einsatztermin der Polizei vorher bekannt, so dass er nicht stattfand, da die Polizei auf einen Überraschungseffekt hoffte. Am Morgen des 23. Juli 1991 kümmerte sie auch das nicht mehr, denn obwohl auch dieser Termin durchsickerte, rückten 1500 Polizeibeamte mit Wasserwerfern an, um ca. 300 FloristInnen vom Rasen zu prügeln und den Baubeginn durchzusetzen. Trotz der massiven Polizeikräfte blieb die Flora an diesem Tag. Unangetastet.
In den folgenden Wochen bewachten dann BGS-Einheiten Tag und Nacht die Baustelle und machten die 40 entstehenden Wohnungen zu den teuersten Sozialwohnungen der Stadt, wie die Lokalpresse lästerte. Gleichzeitig tauchten im Stadtteil Aufkleber auf, die vor allzu herzlicher Aufnahme der "Besatzer" warnten. Allabendlich traf mensch sich an den Baustellenabsperrungen, um die eingesetzten Beamten ein wenig zu verhöhnen und zu nerven. Letztlich brachte die massive Polizeipräsenz den floristischen Enthusiasmus zum Erliegen. Die brutalen Übergriffe der E-Schicht taten ihr übriges, und irgendwie waren Sozialwohnungen dann doch nicht der Hauptwiderspruch im Kampf um den Sieg der Revolution.
"Junkiejogging ist kein Sport" - Polizeiliche Drogenbekämpfung an der Flora
Seit dem Herbst 1997 bekämpft die Hamburger Polizei die Drogenszene im Schanzenviertel. Im November '97 sollte es zunächst nur gegen die sogenannte Verfestigung der Dealerszene gehen. Seit Februar 1998 wurde die Vertreibungspolitik auf die KonsumentInnen illegalisierter Drogen ausgeweitet, mit Hilfe von Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen sollen die BenutzerInnen illegalisierter Drogen aus dem Strassenbild vertrieben werden. Dabei hat sich eine erstaunliche Wandlung der öffentlichen Wahrnehmung polizeilicher Arbeit im Schanzenviertel vollzogen. Waren die Beamten der federführend eingesetzten Lerchenwache in den letzten zehn Jahren vor allem durch Übergriffe, Misshandlungen und rechtswidrige Polizeieinsätze aufgefallen, gelten sie mittlerweile bei nicht wenigen Menschen im Quartier als die Garanten der Wiederherstellung der alternativen Idylle, die seit der Etablierung der offenen Drogenszene im Stadtteil so hoffnungslos ruiniert zu sein scheint.
Vergessen scheint, dass ja gerade die polizeiliche Verdrängung der Drogenszene aus St. Georg für die veränderte Situation im Stadtteil gesorgt hat. Und ob dieser Vergesslichkeit können sich die "Brandstifter" nun als rettende Feuerwehr darstellen. In der Öffentlichkeit präsentieren sich insbesondere die Vertreter der Wache 16 gern als die neuen "Anwälte" der Sorgen und Nöte der Mitbürger und Mitbürgerinnen. Kein Runder Tisch, an dem nicht ein Vertreter der Polizei verständnisvoll mitdiskutiert, kein Gewerbetreibenden-Treffen, an dem die selbstverständlich beteiligte Revierwachenleitung nicht besorgt die Probleme zur Kenntnis nimmt und das Polizeimögliche verspricht.
Immer wenn die Stimmung im Stadtteil schlecht ist, laufen dann mehr uniformierte PolizistInnen durchs Viertel - das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung soll damit erhöht werden, ohne dass sich wirklich etwas ändert; schliesslich legt die Hamburger Polizei ihren Einsatzkonzepten nicht das Ziel zugrunde, die offene Drogenszene aufzulösen. So erklärte nicht ohne Zynismus im August 1998 der Polizeipressesprecher, die Polizei könne das Drogenproblem nicht lösen, sondern nur "die Szene auf Trab" halten. Im Szenejargon wird diese Polizeitaktik "Junkiejogging" genannt. Die Flora hat versucht in den letzten zwei Jahren gegen diese Entwicklung Politik zu machen und dabei im Stadtteil relativ isoliert dagestanden. In einer ausführlichen Erklärung vom Dezember 1997 (dem sog. "Zwergenflugblatt") hat das Projekt inhaltlich begründet, warum es die Vertreibungspolitik im Stadtteil gegen die offene Drogenszene nicht mit trägt. Mit der Schaffung eines provisorischen Druckraums direkt hinter der Flora hat das Projekt praktisch Stellung bezogen. Verschiedene Gruppen und Initiativen haben mit praktischen Interventionen versucht diese Politik zu unterstützen: von Infoständen über Aktionen, wie "Kontrolleure kontrollieren", bis hin zu militanten Angriffen gegen die Polizei. Aber das sind Fragen der Gegenwart und noch nicht Ausstellungsgeschichte(n).....